2. Abschreibungsrunde bei den Banken!

Die Freude über die erfreulichen Quartalsabschlüsse einzelner Banken wird laut einem Medienbericht schon bald getrübt durch eine zweite grosse Abschreibungswelle.
Zwar hat US-Präsident Barack Obama von einem «Hoffnungsschimmer» für die Wirtschaft angesichts der tollen Quartalsabschlüsse von Goldman Sachs (zwei Milliarden Dollar Gewinn) und Wells Fargo (drei Milliarden) gesprochen, doch der Finanzbranche droht neues Ungemach. Wie die «Bilanz» in ihrer Mai-Ausgabe schreibt, kommt eine zweite Berichtigungswelle auf die Banken zu.
«Die erste Welle, getrieben von den Wertberichtigungen, ist eher am Auslaufen», sagt Christine Schmid, Bankenanalystin der CS, gegenüber dem Wirtschaftsmagazin, «nun treten jedoch die Kreditkrisen zutage.» Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet in den USA mit Kreditverlusten von 601 Milliarden, in Europa von 551 Milliarden Dollar. Total erwartet der IWF für die Banken mit Abschreibungen von 2500 Milliarden Dollar – wovon erst die Hälfte abgeschrieben ist.
Die zweite Welle wird noch problematischer
Eine neue Rekapitalisierung dürfte schwierig werden. Viele ausländische Staatsfonds, die grosse Pakete an den Banken erworben haben, sind aufgrund der sinkenden Kurse vorsichtig geworden und auch die Staaten stossen an ihre finanziellen Grenzen.
Bleiben die privaten Anleger. «US-Finanzminister Timothy Geithner geht davon aus, dass die Privaten die toxischen Papiere aufkaufen und den Banken Geld zur Verfügung stellen. Ob dieser Plan aufgeht, ist unsicher», warnt UBS-Research-Chef Höfert. Denn die privaten Investoren werden – anders als bei der ersten Welle, bei der alle Institutionen in den Strudel gerieten – gezielter das gesamtwirtschaftliche Umfeld der jeweiligen Banken in ihre Überlegungen mit einbeziehen. Dabei wird sich laut dem Wirtschaftsmagazin zeigen: Institute, die in Staaten wirtschaften, deren Verschuldung hoch ist, werden stärker gebeutelt werden als jene in den sparsamen Staaten.
Die Schweiz ist im Vorteil
Die Schweiz habe im internationalen Vergleich eine hohe Sparquote: Herr und Frau Schweizer machen weniger Schulden und haben eine gute Zahlungsmoral. Dasselbe gilt für Schweizer Firmen und KMU. Deshalb zeigt sich Jean-Pierre-Roth, Präsident der Schweizer Nationalbank in einem Interview im April mit dem «Tages-Anzeiger» wenig besorgt. Die Schweizer Banken seien weder im internationalen Kredit- noch im Kreditkartengeschäft stark engagiert.
Aber auch hier zeigt sich, wie stark sich die Banken leistungsmässig zu unterscheiden beginnen: Die Credit Suisse hängt die UBS deutlich ab. Während die UBS einen Zwei-Milliardenverlust im Quartalsbericht vermeldete, wies die CS einen Gewinn in derselben Höhe aus. Zwar steht die UBS noch auf tönernen Füssen, doch es zeichne sich keine erneute Staatshilfe für die UBS ab, meint Alain Bichsel, Sprecher der Finanzaufsichtsbehörde Finma. Der Bankensektor sei generell noch nicht über den Berg: «Jetzt schon Entwarnung zu geben, wäre falsch», so Bichsel.
In Deutschland zeigt sich laut «Bilanz» ein ähnliches Bild: Die Deutsche Bank ist besser positioniert als die Commerzbank, die viermal so viele Schrottpapiere in ihren Büchern hat. In den USA wiederum weisen ehemalige Branchengrössen wie die Citigroup und die Bank of America Schwächen auf, während die Goldman Sachs besser dasteht und gar erhaltene Staatsmilliarden zurückzahlen will.

«Wir sind noch nicht in der Talsohle»

Nationalbank-Präsident Jean-Pierre Roth stellt erst im Verlauf von 2010 ein Wachstum für die Schweizer Wirtschaft in Aussicht.

Stehen wir tatsächlich am Anfang des Endes dieser Wirtschaftskrise, wie wir das in jüngster Zeit öfters vernehmen konnten? Oder haben wir erst das Ende des Anfangs hinter uns, wie Pessimisten uns glauben machen wollen?
Die meisten Vorhersagen laufen darauf hinaus, dass das Wachstum in Europa und den USA auch in den kommenden Quartalen negativ sein wird – aber mit abnehmendem Tempo. Wir sind also noch nicht in der Talsohle angelangt. Mit positiven Wachstumsraten rechne ich erst im Verlaufe des nächsten Jahres.
Gilt das auch für die Schweizer Wirtschaft?

Unsere internen Prognosen gehen in diese Richtung. Für dieses Jahr müssen wir mit einem deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung von bis zu 3 Prozent rechnen. 2010 werden wir, wenn sich der Turnaround allmählich einstellt, per Saldo ein Nullwachstum verzeichnen. Damit käme die Schweiz eigentlich noch ganz glimpflich durch diese schwere Krise, verglichen etwa mit Deutschland.
Worauf führen Sie das zurück?

Wir sind relativ spät vom globalen Abschwung erfasst worden. Daher wird sich die Schweizer Wirtschaft weniger stark abschwächen als zum Beispiel die deutsche. Zu verdanken ist dies dem privaten Konsum, der bei uns eine stabilisierende Rolle gespielt hat. Als exportorientierte Volkswirtschaft sind wir zwar ebenfalls von den Einbrüchen im Aussenhandel stark betroffen, aber die Konsumnachfrage bei uns konnte dies besser abfedern.
Angesichts der düsteren Prognosen für den Schweizer Arbeitsmarkt ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Privatkonsum auch hierzulande deutlich nachlässt.

Davon ist wohl auszugehen. Wenn sich aber die Weltwirtschaft im Laufe von 2010 tatsächlich erholen sollte, wird unsere Exportindustrie davon ebenfalls profitieren. Das Zusammenspiel von Aussen- und Binnennachfrage wird also genau umgekehrt sein im Vergleich zum Abschwung – unter dem Strich bleibt jedoch der stabilisierende Effekt auf unsere Konjunktur.
Die Schweiz hat bis ins Jahr 2008 hinein ansehnliche Wachstumsraten von über 2 Prozent erzielt. Werden solche Zuwächse nach Überwindung der Krise noch möglich sein, wenn der Finanzsektor, wie allgemein prognostiziert, weltweit schrumpfen wird?

Die Schweiz hat in den letzten Jahren vom Boom der Finanzmärkte und der Dynamik der Weltwirtschaft stark profitiert. Die Nachfrage nach Investitionsgütern war gross, wir produzieren solche Güter. Gleiches galt für den Finanzsektor, wo die Banken für ihre hochkomplizierten strukturierten Produkte, die sie mit hohen Margen vertrieben, immer mehr Abnehmer fanden. Diese Zeiten sind vorbei. Gleichzeitig wird die Weltwirtschaft auf absehbare Zeit weniger stark wachsen. Das Umfeld für die Schweiz wird also weniger positiv sein als früher. Bleiben wir aber realistisch: Die Weltwirtschaft ist zuletzt vielleicht etwas gar schnell gewachsen. Wenn sie wieder zu einem gesunden Wachstum zurückfindet, wird auch die Schweiz geringere Wachstumsraten haben – aber dafür etwas solidere.
Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass die angeschlagenen Banken im Zuge der gegenwärtigen schweren Rezession eine zweite grosse Abschreibungswelle – diesmal auf Firmenkrediten, Hypotheken für gewerbliche Immobilien und Kreditkartenschulden – verkraften müssen?

Diese Gefahr besteht zweifellos, wenngleich ich um die Schweizer Banken nicht allzu besorgt bin. Sie sind weder im internationalen Kreditgeschäft noch im Kreditkartengeschäft stark engagiert. Ausserdem haben unsere Unternehmen in den letzten Jahren sehr ordentliche Gewinne erzielt, und sie befinden sich überwiegend in guter finanzieller Verfassung. Auch hat die Schweiz keine Immobilienblase erlebt.
Da kommt also keine böse Überraschung auf die Schweizer Banken zu?

Natürlich wird es auch hier zu Rückstellungen kommen. Aber seien Sie beruhigt: Die Ausgangslage für unsere Banken ist nicht schlecht.
Und wie siehts im Ausland aus? Steht zu befürchten, dass der Abschreibungsbedarf da und dort so gross ist, dass wir in eine neue Bankenkrise schlittern werden?

Ausschliessen kann man heute nichts. Die ersten Quartalsabschlüsse von ausländischen Banken zeigen indes, dass sie zu Jahresbeginn mehrheitlich ganz gut gearbeitet haben und wieder Reserven für solche Ausfallrisiken aufbauen konnten.
Seit bald zwei Jahren pumpen die Notenbanken rund um den Globus gigantische Mengen an Liquidität in die Geldmärkte, um die Stabilität und Funktionstüchtigkeit des Weltfinanzsystems zu bewahren. Wie hat die Medizin bisher gewirkt?

Um bei Ihrem Bild zu bleiben: Der Patient liegt immer noch krank im Bett, aber sein Fieber geht allmählich zurück. So haben sich die Risikoaufschläge auf Wertpapieren, die Spreads, die im letzten Oktober regelrecht explodiert sind, wieder allmählich verringert – bis auf ein Niveau wie vor dem Oktober. Die akute Krise vom vergangenen Herbst, die nach der Pleite von Lehman Brothers die Märkte völlig gelähmt hatte, ist damit wohl überwunden. Einige Indikatoren haben sich stabilisiert, von einer Normalisierung kann aber noch keine Rede sein.
Gilt dies auch für den Schweizer-Franken-Markt?

Wenn wir uns die Entwicklung von Zinsen und Spreads anschauen, waren wir im Franken-Markt weniger betroffen. Kaum jemand hat wohl für möglich gehalten, dass es der Nationalbank gelingen würde, den Dreimonats-Libor derart stark zu senken. Wir haben ihn bisher zwar nicht bis auf 0,25 Prozent zurückführen können, wie das unsere Absicht ist, sondern nur auf Prozent. Dennoch haben wir damit viel mehr erreicht, als in anderen Währungen möglich war.
Nach wie vor ungelöst ist das Problem der risikobehafteten «toxischen» Wertpapiere, die noch in den Bankbilanzen schlummern. Lässt sich dafür denn überhaupt eine Lösung finden – bei den enormen Geldsummen, um die es hier geht, und angesichts der Schwierigkeiten, diese Papiere zu bewerten?

Wir sprechen hier vor allem von einem amerikanischen Problem. Wie Sie wissen, haben das US-Finanzministerium und die Notenbank, das Federal Reserve, kürzlich eine Initiative lanciert, um toxische Wertpapiere von Banken an private Investoren zu verkaufen. Ob das Verfahren funktioniert und Erfolg hat, muss sich erst noch weisen. Immerhin erzielen die US-Banken derzeit wieder Gewinne – die Verhältnisse sind also ganz anders als früher.
Sie meinen also, dieses Problem lasse sich in den Griff bekommen?

Wir müssen es ganz einfach in den Griff bekommen. In welcher Form wird vor allem davon abhängen, wie erfolgreich die Initiative der Amerikaner ist.
Die Anleger treibt noch eine zweite grosse Sorge um: Wird es den Notenbanken gelingen, die enorme Liquidität in den Märkten rechtzeitig wieder abzuschöpfen, damit bei einem Konjunkturaufschwung die Inflation nicht hochkocht?

Da gilt es zwischen einer kurzfristigen und einer langfristigen Komponente zu unterscheiden. Kurzfristig stellt sich für uns die Frage: Liegen wir mit unserem Konjunkturszenario richtig, dass die Talsohle 2010 erreicht wird? Davon wird unsere Geldpolitik in nächster Zeit bestimmt. Langfristig stehen wir vor dem Problem, wie wir wieder Disziplin in das Finanzsystem bringen können. Die gewaltige Liquidität, welche die Notenbanken notgedrungen in die Märkte gepumpt haben, stellt auf Dauer ein erhebliches Risiko dar. Das muss wieder korrigiert werden.
Wie geht die Nationalbank mit dieser Herausforderung um?

Wir sind jederzeit in der Lage, die Geldmenge kurzfristig zu verringern. Da wir die Liquidität vor allem durch kurzfristige Kredite in den Markt gegeben haben, genügt es im Grunde, die Kredite nicht mehr zu verlängern. Ausserdem steht uns auch die Möglichkeit offen, Liquidität mit der Emission Nationalbank-eigener Schuldverschreibungen abzuschöpfen.
Technisch mag das für Sie also kein Problem sein, wenn nötig rasch zu reagieren. Aber Sie bewegen sich auch auf einem politischen Feld, wo Sie mit Widerständen rechnen müssen, wenn die Nationalbank ihre Geldpolitik wieder straffen will.

Sicher, es ist politisch immer schwieriger, die Zinsen zu erhöhen als sie wieder zu senken. Dem tragen wir Rechnung mit der Art und Weise, wie wir unsere Zinsentscheidungen vorbereiten. Diese basieren stets auf einer Inflationsprognose – und das nicht nur für die nächsten zwölf Monate, sondern für die nächsten drei Jahre. Unsere traditionelle mittelfristige Ausrichtung der Geldpolitik gibt uns eine gute Grundlage, um die Entscheide rechtzeitig zu treffen.
In anderen Staaten, wie zum Beispiel in den USA, haben die jeweiligen Notenbanken noch weitaus aggressiver agiert. Zugleich haben sich viele Staaten enorm verschuldet. Schlummert da nicht ein Inflationspotenzial, zumal die Regierungen durch dieses «Ventil» ihre reale Schuldenlast verringern könnten?

Das wäre ja eine geradezu machiavellistische Politik, mit Inflation das Problem der nominellen Verschuldung zu lösen. So einfach ist es aber nicht. Denn immer grössere Bereiche unserer Wirtschaft sind indexiert, bieten also Schutz vor Inflation. Es gibt auch inflationsgeschützte Finanzprodukte. Am Ende müssen also jene Bevölkerungsgruppen die Umverteilungslasten einer Inflation tragen, die sich dagegen nicht schützen können. Das sind zumeist die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft, die einfachen Sparer und Leute ohne indexierte Einkommen. Für eine solche Politik sehe ich in unserer heutigen Gesellschaft keine Chance.