Reisst uns der Osten in den Abgrund?

Russland, Ukraine und die Ost-EU-Staaten sind extrem klamm. Ganz Osteuropa soll nach Angaben des renommierten „Daily Telegraph“ (London) 1700 Milliarden Dollar im Ausland geliehen haben. Zum Vergleich: Die Summe entspricht etwa der Hälfte des deutschen Sozialprodukts eines Jahres.

Jetzt stocken die Zinszahlungen, Rückzahlungen werden kaum noch geleistet. Besonders schlimm: Die Mega-Summe ist zumeist auf kurze Frist verliehen worden. Dieses Jahr sind mindestens 400 Mrd. Dollar fällig. Allein österreichische Banken haben nach Osten 230 Mrd. Euro verliehen (=70 Prozent des dortigen Sozialprodukts).

In Ost-Europa droht der Super-Gau: Die Furcht vor einer tiefen Rezession hat den schweizerischen Aktienmarkt am Mittwoch belastet und den SMI unter die Marke von 5000 Zählern gedrückt.

„Die Nachrichten zu Osteuropa bringen eine neue Qualität in die ganze Krisendiskussion“, sagte ein Händler. „Man muss befürchten, dass da viele Banken enorme Abschreibungen haben werden und das schwappt dann auch zu uns.“

Österreichs Finanzminister Pröll versucht gerade, einen Zusatzkredit über 150 Mrd. Euro zusammenzukratzen, um eine Rundum-Pleite zu verhindern.

Deutsche Banken sollen ebenfalls mehr als 100 Mrd. Euro an die Ost-Staaten verliehen haben.

Die Länder Osteuropas machten nach Jahren des Wirtschaftswachstums nun eine tiefgreifende und lang anhaltende wirtschaftliche Abschwungphase durch, heisst es in einer Studie der Ratingagentur „Moody's“.

Die Europäische Entwicklungsbank EBRD, spezialisiert auf Osteuropa, rechnet schon jetzt mit mindestens zehn bis 20 Prozent Ausfällen. In den Medien macht ein ungeheuerlicher, neuer Begriff die Runde: „Monetäres Stalingrad“. Klartext: Würden die Kredite wertlos, hätte dies auch verheerende Auswirkungen nicht nur auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern auf den gesamten Euro-Raum. Immer mehr Experten halten inzwischen die schnelle Osterweiterung der EU für einen schweren
Fehler.

Einen Überblick über die wichtigsten Ost-Staaten:

1. RUSSLAND. Das Land hat bereits mehr als ein Viertel seiner Währungsreserven verloren. Der Kurs des Rubels im freien Fall: Verlust seit Jahresbeginn gegen Euro: 35 Prozent. Die privaten Grossunternehmer („Oligarchen“) sind im Westen mit ca. 500 Mrd. Dollar verschuldet. Die russische Produktion ist im Januar um 16 Prozent abgestürzt (Dezember: 10,3). Kurzarbeit und Massenentlassungen bei den grössten Autoherstellern AvtoVAZ und KamZV. Arbeitslosenquote: 7,7 Prozent. Im
Dezember verlor eine halbe Million Menschen ihren Job. Ministerpräsident Putin unterstützt die Banken mit einem Rettungsschirm über umgerechnet 8 Mrd. Euro.

2. POLEN. Währung (Zloty) auf tiefstem Stand seit fünf Jahren. Verlust allein in dieser Woche: vier Prozent. Die Industrieproduktion ist auf dem tiefsten Stand seit 17 Jahren. Grösstes Problem für die Bevölkerung: 60 Prozent der polnischen Hypotheken lauten auf Schweizerfranken (war jahrelang niedrigstverzinste Währung in Europa). Durch den Zloty-Sturz auch gegenüber den Franken haben sich die Hypothekenzahlungen in einem halben Jahr verdoppelt.

3. UNGARN. Schärfster Einbruch der Produktion seit 1991. Allein im Dezember minus 23,3 Prozent. Wachstum soll dieses Jahr um mindestens drei bis 3,5 Prozent fallen. Regierung kurbelt mit Steuersenkungen an (2,5 Mrd. Euro). Währung im freien Fall. Für einen Euro gab es im Sommer 2008 noch 230, inzwischen mehr als 300 Forint. Regierung musste sich 3,8 Mrd. Dollar vom Währungsfonds, der EU und Weltbank pumpen, um den Staatsbankrott abzuwenden.

4. BALTIKUM. Ebenfalls scharfer Einbruch bei Produktion und Wachstum. Massenproteste und Strassenschlechten mit der Polizei in Litauen und Lettland. Litauens Notenbank rechnet in diesem Jahr mit einem Minuswachstum von 4,9 Prozent. In Lettland sollen es sogar minus zehn Prozent sein (Quelle: Svedbank, grösster Kreditgeber). Aberwitzige Pläne, das ganze Land (2,3 Mio Einwohner) an einen Privatinvestor zu verkaufen.

5. SLOWAKEI. Zusammenbruch der Exporte! Minus 40 Prozent seit Oktober 2008. Die gesamte Produktion: minus 16,8 Prozent. Kurzarbeit und Entlassungen im wichtigsten Wirtschaftszweig, der Autoindustrie (Zulieferer u. a. für Porsche, Peugeot, Kia, Samsung, Ford). Der Audi Q7 und der VW Touareg laufen dort vom Band. Das Land gilt als brandgefährlich, da es als Währung den Euro hat und fast alle Banken westlichen Kreditinstituten gehören, die entsprechende Euro-Kredite abschreiben müssten. Geschätzt: zehn Mrd. Euro.

6. TSCHECHIEN. Währung (Krone) im freien Fall. Verlust seit Sommer 2008: Gut ein Viertel (26 Prozent). Währungsexperte Stephen Jen: „Wir erleben in ganz Osteuropa einen Run auf fremde Währungen.“ Einzelhandelsumsätze Dezember: Minus 2,9 Prozent. Wachstumsprognose für 2009: minus sechs Prozent. Das Land hat ein Rettungspaket zur Ankurbelung geschnürt: Streichung bei den Sozialsystemen und Steuersenkungen.

In den anderen Ost-Staaten ebenfalls ein rabenschwarzes Bild: Die Ukraine steht kurz vor dem Staatsbankrott und sucht verzweifelt nach Milliardenhilfen aus dem Westen. In den neuen EU-Staaten Rumänien und Bulgarien Schliessung zahlreicher Fabriken. Ausserdem grassiert die Korruption: Hilfsgelder wandern in die Taschen der Führungs-Cliquen. Einziger Lichtblick: Euro-Land Slowenien, das die Krise bisher gemeistert hat (keine Rezession) und auch für 2009 mit guten Wirtschaftszahlen rechnet.

Ambrose Evans-Pritchard vom „Daily Telegraph“ kommentiert die Lage im Osten: „So beobachten wir und warten, während das tödliche Buschfeuer näher kommt. Springt ein Funke in den Euro-Raum über, werden wir eine weltweite systemische Krise innerhalb von Tagen haben. Sind die Feuerwehr-Leute bereit?“

Hoffentlich!